DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 1/2007

Das Mediastinum und Intrathorakales Fasziales Release

Eric Hebgen, Königswinter, IFAO

Das Mediastinum ist der zwischen den beiden Pleurahöhlen eingeschlossene Raum. Das ist eine mögliche Definition des Mediastinums, doch welch bedeutsames Kompartiment sich dahinter verbirgt, wird damit nicht deutlich. Kein zweiter Raum im menschlichen Körper birgt eine solche Vielzahl vital wichtiger zirkulatorischer Strukturen auf so engem Raum. In keiner anderen Region kann man die Bedeutung der faszialen Kontinuität und Bewegung so gut nachvollziehen, wie im Mediastinum. 

Was ich damit meine, lässt sich durch einen Blick in die Embryologie verdeutlichen.In einer frühen Phase der Entwicklung (24.-28.Tag) nachdem der Dottersack als primäres Darmrohr in den Embryo integriert wurde und eine erste Körperhöhle entstanden ist, gibt es das Mediastinum zwar noch nicht, aber für seine funktionelle Bedeutung ist dies eine ungeheuer wichtige Periode. 

 Es existiert zwar schon eine Körperhöhle, sie ist aber noch nicht unterteilt in Bauch- und Brusthöhle – das geschieht erst später. Was aber besonderer Beachtung bedarf, ist die Auskleidung dieser Köperhöhle mit mesodermalen Gewebe. Später differenziert daraus das Peritoneum, die Pleura und das Perikard/Epikard – und zwar jeweils das parietale und viszerale Blatt. Das heißt, dass diese drei serösen Häute einen gemeinsamen Ursprung haben, sie hängen embryologisch funktionell zusammen! Später spricht man über diesen funktionellen Zusammenhang von der Zentralsehne und meint damit jenen faszialen Strang, der von der Schädelbasis bis zum Beckenboden reicht. 

Wie entstehen nun die beiden voneinander getrennten Körperhöhlen?Entscheidend dafür ist die Verlagerung des Herzens aus der Halsregion in den Thorax durch ein kranio-kaudales Zusammenklappen des Embryos in der vierten Entwicklungswoche.   Das Herz entsteht in der Halsregion und nimmt seine faszialen Verbindungen auf seiner Verlagerung mit in den Thorax. Auch das Bindegewebe, bzw. Mesoderm, kranial des Herzens wird in den Thorax verlagert, kommt dort kaudal des Herzens zum Liegen und bildet die erste noch unvollständige Trennschicht zwischen den nun entstandenen Körperhöhlen des Abdomens und des Thorax. Das spätere Diaphragma entsteht aus diesem Septum transversum, zusammen mit faszialem Gewebe, das als pleuroperitoneale Membran bezeichnet wird, und quergestreifter Rumpfwandmuskulatur.In der Thoraxhöhle vollzieht sich die Teilung in die Lungenhöhlen und das Mediastinum: Aus der Auskleidung des Thorax entsteht das Perikard und die Lungenhälften wachsen von dorsal in den Thorax hinein. Sie nehmen ebenfalls die Auskleidung des Thorax als ihre äußere Umhüllung dabei mit – die Pleura entsteht. Der Raum, der nun zwischen den Lungen, dem Diaphragma, der oberen Thoraxapertur und der vorderen und hinteren Fascia endothoracica (ebenfalls die mesodermale Auskleidung der primitiven ersten Körperhöhle) entstanden ist, nennt man Mediastinum. 

Folgende Schlüsselpunkte gilt es herauszustellen:

  1. Das Herz, bzw. der Herzbeutel, hat bedingt durch seine Wanderung aus der Halsregion in den Thorax umfangreiche fasziale Kontakte in allen drei Ebenen des Mediastinums.
  2. Das Diaphragma ist in einer frühen Phase seiner Entwicklung eine Faszie und es behält auch nach abgeschlossener Entwicklung entsprechende Eigenschaften.
  3. Pleura, Perikard und Peritoneum haben einen gemeinsamen Ursprung und arbeiten funktionell als Teil der Zentralsehne zusammen, das Mediastinum bildet dafür den Raum.

Alles in allem lässt sich festhalten, dass das Mediastinum als Faszie und Teil der Zentralsehne „funktioniert“ und auch so, d.h. faszial und intrathorakal behandelt werden kann. Bevor wir dazu kommen, jedoch noch einen Blick auf die Topographie des Mediastinums.Zahlreiche wichtige zirkulatorische Strukturen findet man dort in einer beachtlichen Nähe zueinander und durch eine auf den ersten Blick nicht wahrnehmbare Bewegung beeinflusst.Betrachten wir nun den „Inhalt“ des Mediastinums von  anterior nach posterior: Hinter dem Sternum liegt der Herzbeutel, der ligamentär mit dem Brustbein verbunden ist. Dem Herzbeutel aufgelagert, etwa im oberen Drittel des Sternums, findet man den Thymus, der eine wichtige immunologische Aufgabe im Kindesalter übernimmt. Dem Herzbeutel lateral anliegend findet man die beiden N. phrenici. Weiter nach posterior, sozusagen als nächste Schicht hinter Perikard und Thymus sind im oberen Drittel des Mediastinums die großen Gefäße zu finden, die aus dem Herzen heraus kommen oder in dieses hinein münden. Noch dahinter liegt die Trachea, die sich auf Höhe von BWK 4 in die beiden Hauptbronchien teilt, die ihrerseits noch den Herzbeutel tangieren.Im oberen Drittel des Mediastinums ist der Ösophagus noch hinter der Trachea anzutreffen, erst nach der Bifurcatio tracheae legt er sich dem Perikard an. Der N. vagus legt sich auf der rechten Seite recht schnell nach seinem Eintritt in den Thorax dem Ösophagus an, während er linke N. vagus zuerst noch den Aortenbogen überqueren muss, um dann ebenfalls mit der Speiseröhre nach kaudal und durch das Diaphragma hindurch zu wandern.Am weitesten dorsal, direkt vor der Wirbelsäule, findet man weitere zirkulatorische Strukturen: Die V. azygos und hemiazygos, der Ductus thoracicus und vor den Rippenköpfchen der Grenzstrang.Aus dieser Aufzählung ergibt sich folgendes: Das Mediastinum durchziehen venöse, arterielle, lymphatische, sympathische und parasympathische bedeutsame Leitungsbahnen für die abdominellen Organe. Die gute Funktion dieser Organe ist abhängig von der Struktur „Mediastinum“. 

Wie funktioniert das Mediastinum nun?Dieser Raum zwischen Sternum und Wirbelsäule, den beiden Lungenhälften, dem Diaphragma und der oberen Thoraxapertur ist eng gepackt mit Organen und Leitungsbahnen und dazwischen, quasi alles verbindend, fasziales Gewebe, so dass alle Strukturen des Mediastinums voneinander abhängig sind, weil sie aneinander hängen.Von außen betrachtet scheint es in diesem Raum wenig Bewegung zu geben, aber von  intrathorakal sieht es anders aus. Etwa 20000 Atemzüge machen wir pro Tag. Das erzeugt beständigen Druck und Zug auf das Mediastinum in kranio-kaudaler und lateraler Richtung. In besonderer Art und Weise wird der Grenzstrang dabei von den Rippenköpfchen bewegt, was sicher nicht umsonst ist!Das Herz schlägt ca. 100.000mal pro Tag. Das wiederum erzeugt ein dauerhaftes Vibrieren im Mediastinum.In keiner anderen Körperregion ist also soviel Bewegung wie im Mediastinum, an keiner anderen Stelle liegen so viele bedeutsame zirkulatorische Strukturen zusammen. All diese Strukturen brauchen offensichtlich dieses Ausmaß an ständiger Bewegung, um ihre Aufgaben optimal erfüllen zu können. Die artikuläre, ligamentäre und muskuläre Mobilität des Thorax spielt dabei eine wichtige Rolle. Findet man Dysfunktionen in diesen Strukturen, gibt es zahlreiche Behandlungen des Thorax und somit auch des Mediastinums von „außen“, die aber nicht Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen sein sollen. Vielmehr möchte ich nun das fasziale intrathorakale Release des Mediastinums vorstellen. 

 

Intrathorakales Fasziales Release

1. Prinzip

Bei dieser Art den Thorax zu behandeln, besteht die Schwierigkeit darin, dass man, anders als in anderen Körperregionen die weichen Faszien durch den harten knöchernen Thorax beurteilen muss. Man lenkt seine Aufmerksamkeit und seine Palpation also in die Tiefe des Thorax und beurteilt dort sozusagen schichtweise die fasziale Bewegung. Die Behandlung ergibt sich aus der Palpation nach allgemeinen Prinzipien einer Behandlung der Faszien. 

2. Palpation

2.1 Erste Vorübung

Der Patient liegt in Seitlage, der Therapeut steht hinter dem Patienten und legt eine Hand flächig auf den ventralen Thorax, die andere in gleicher Höhe und Position auf den dorsalen Thorax. Mit der ventralen Hand gibt der Therapeut Druck nach posterior bis er diesen Druck an seiner posterioren Hand spürt. Danach wird diese Übung von der posterioren Hand ausgehend wiederholt. Anschließend versetzt man die Hände und beurteilt eine andere Thoraxregion in gleicher Weise.Folgende Fragen sollte man dabei beantworten: Wie fühlen sich die verschiedenen Schichten des Thorax beim Durchwandern mit Hilfe des Palpationsdrucks an? Lassen sich Schichten voneinander unterscheiden? Muss ich unterschiedlich stark Druck geben, um durch eine Schicht hindurch zukommen?

2.2 Zweite Vorübung

Ausgangsstellung ist für Patient und Therapeut wie oben geschildert. Mit der anterioren und posterioren Hand wird gleichzeitig Druck gegeben, bis man mit beiden Händen auf dem Weg durch den Thorax hindurch den Druck der jeweils anderen Hand wahrnimmt. Diese Übung wiederholt man an verschieden Stellen des Thorax und versucht die Schicht in der sich die beiden Palpationsdrücke treffen mal mehr nach anterior und mal mehr nach posterior zu verlegen. 

Ist man mit dieser Vorübung gut vertraut, kann man nun daran gehen, die unterschiedlichen faszialen Schichten des Thorax zu beurteilen. Man wählt sich wie oben beschrieben eine intrathorakale Faszienebene aus, hält diesen Druck und konzentriert sich auf die Faszienbewegung intrathorakal: Ist die Bewegung in Qualität und Quantität dynamisch und vital? Gibt es bevorzugte Bewegungsrichtungen? Jetzt wird man sich sicher die Frage stellen: Was ist denn „normal“? Gibt es eine physiologische Bewegung? Das könnte man bejahen. Eine physiologische Bewegung ergibt sich aus der embryologischen Verlagerung wie ich sie oben beschrieben habe. Ich denke aber, dass man sich nicht davon leiten lassen sollte, was es an faszialer Bewegung im Thorax in einem frühen Stadium des Lebens ohne aktuelle Kompensation an Dysfunktionen einmal gegeben hat. Da der faszialen Dynamik immanent ist, dass sie sich an Dysfunktionen im Sinne einer räumlichen Annäherung an die gestörte Struktur anpasst, und das gerade auch im Mediastinum aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Zentralsehne schon früh passiert, ist meiner Meinung nach das Wiederherstellen einer physiologischen Faszienbewegung im Thorax schier unmöglich. Die Frage, die man sich daher stellen muss ist vielmehr: In welchem Dienst steht die aktuell wahrgenommene Faszienbewegung im Thorax? Ist dies Kompensation und zieht mich zur Dysfunktion hin oder gibt es Restriktionen, die behandlungsbedürftig sind? 

In einem zweiten Schritt der Palpation wird man nun aktiv: Man folgt der wahrgenommenen Bewegung, um eine Region herauszufinden auf die diese Bewegung zuläuft als einen Ort der hohen faszialen Spannung. Und man bewegt die Faszien in alle anderen Richtungen des Raumes, um zu beurteilen, ob die Bewegung frei ist – die faszialen Spannungen intrathorakal normoton sind. Dabei darf man sich nicht auf einen Seitenvergleich verlassen, weil z.B. die beiden Lungenhälften unterschiedlich aufgebaut sind oder das Herz etwas auf die linke Seite verlagert ist. Im Laufe der Zeit wird man genügend Erfahrung sammeln, um interindividuell beurteilen zu können, was „normal“ ist und was nicht. 

3. Behandlung.

Durch die beschriebene Palpation hat man Regionen im Thorax entdeckt, die eine hohe und behandlungsbedürftige Faszienspannung aufweisen. Zur Behandlung palpiert man wieder in die Thoraxebene, die man als gestört bewertet hat und hat nun die Möglichkeit indirekt, direkt oder mit einem Unwinding zu behandeln. 

Indirekte Behandlung:

Man folgt in der Behandlungsebene den faszialen Bewegungen bis zu ihrem aktuellen Endpunkt. Dort hält man die Bewegung nun durch manuellen Druck in der erreichten Endposition – auch gegen eine spürbare Gegenbewegung der Faszien. Nach einer individuellen Zeitspanne lässt man die Bewegung der intrathorakalen Faszien wieder zu und beurteilt, ob die Dynamik sich in Qualität und Quantität verbessert hat. Gegebenfalls wiederholt man die Behandlung. 

Direkte Behandlung:

In der Behandlungsebene führt man mit manuellem Zug eine Gegenbewegung zu der Eigenbewegung der Faszien im Thorax durch, indem man genau in die Richtung Zug ausübt, die man als eingeschränkte Bewegungsrichtung erkannt hat. Spürt man einen großen Zug der Faszien gegen die eingeschlagene Richtung, so verharrt man in dieser Position bis es zu einem Release der Gewebe kommt, spürbar als ein plötzliches Nachgeben des Zugs der Faszien. Ist die Bewegung nach diesem Manöver immer noch nicht frei, wiederholt man das Ganze. 

Unwinding:

Hierbei folgt man der faszialen intrathorakalen Bewegung ohne Einfluss auf sie zu nehmen bis man zu einem Still-Point gelangt. Dort verharrt man mit dem Gewebe, bis wieder eine Bewegung stattfindet. Erst jetzt kann man korrigierend eingreifen, indem man direkt die eingeschränkte Bewegungsrichtung faszilitiert. 

Die hier vorgestellten Diagnose- und Behandlungsprinzipien einer viszeralen Höhle lassen sich auch auf das Abdomen übertragen. Mit etwas Übung ist es auch möglich, die Untersuchung und Behandlung mit nur einer Hand durchzuführen, ebenso wird man im Laufe der Zeit die einzelnen thorakalen Gewebe (Bronchien, Perikard, Lungenhilus etc.) zu beurteilen lernen.

 

Zusammenfassung

Die embryologische Entwicklung des Mediastinums zeigt, dass diese Struktur als Faszie betrachtet werden kann. Für die Viszera ist dieser Raum so wichtig, weil wesentliche Leitungsbahnen für die abdominalen Organe durch das Mediastinum ziehen. Durch Herzschlag und Atmung bedingt, erfährt das Mediastinum viel Bewegung. Mit der Technik des intrathorakalen faszialen Release lässt es sich behandeln. Vorübungen bereiten auf diese Technik vor, die direkt, indirekt und als Unwinding durchgeführt werden kann.

Summary

The mediastinum and intrathoracal fascial release The embryological development of the mediastinum shows that this structure can be considered as fascia. This cavity is especially important for the viscera because major abdominal organ pathways travel through the mediastinum. Heartbeat and respiration cause the medianistum to move constantly. The intrathoracal fascial release technique can be used to treat the mediastinum. Preliminary excercises can prepare for this technique, which can be carried out directly, indirectly, or as unwinding.

Résumé

Le médiastin et le « release » fascial endothoracique Le développement embryologique du médiastin montre que cette structure peut être considérée comme un fascia. Cet espace est très important pour les viscères car des voies de transfert principales pour les organes abdominaux passent par le médiastin. Dû à la pulsation du cœur et à la respiration, le médiastin est toujours en mouvement. On peut le traiter en appliquant la technique du « release » fascial endothoracique. Des exercices préliminaires préparent à cette manipulation directe, indirecte et comme « unwinding ».

 

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