DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 3/2004

Fasziales Thoraxkompressionstrauma

Eric Hebgen D.O. M.R.O, IFAO, Königswinter

Dem Schleudertrauma wird nach einem Verkehrsunfall große Bedeutung beigemessen. Die scheinbar folgenlose Kompression, die der Anschnallgurt auf den Thorax ausübt, wird gerne unterschätzt.

Patient und Symptomatik:

Die 49-jährige Patientin, Hausfrau, litt an einem bewegungsabhängigen Schmerz an der linken Halsseite mit Ausstrahlungen in den linken Arm. Die Verdachtsdiagnose lautete zervikale Bandscheibenprolaps.

Anamnese. Ein Autounfall fünf Monate vorher hatte ein Schleudertrauma mit Kopfschmerzen, Bewegungseinschrän- kung der HWS mit Blockierungsgefühl und Schmerzen ausgelöst. Die Patientin saß bei dem Unfall angeschnallt hinten links im Wagen, ihr PKW wurde mit großer Wucht von hinten gerammt. Röntgenologisch wurde eine Steilstellung der HWS festgestellt und das Schleudertrauma diagnostiziert. Es wurde mit einwöchiger Halskrause, Schmerzmitteln und Muskelrelaxantien therapiert. Die Kopfschmerzen verschwanden nach ca. 2 Wochen. Die HWS-Beschwerden veränderten sich: Die linke Halsseite schmerzte zunehmend in Bewegung, Lageveränderungen in Ruhe lösten ein- schießenden Schmerz im Hals aus mit Ausstrahlungen in den linken Arm.

Befunde:

Parietal:

  • Foramen intervertebrale-Provokationstest negativ
  • Zervikalreflexe beidseits seitengleichauslösbar
  • Kennmuskeln zervikal: Kraftgrad 5
  • Sensibilitätsstörungen keinem Dermatom zuzuordnen
  • ULTT 1–3 nach Butler links positiv
  • Dysfunktion der Rippe 1 und 2 links in Inspiration
  • FRS rechts BWK 2/3, BWK 3/4
  • ERS links BWK 1/2
  • Nackenkyphose ausgeprägt
  • HWS-Beweglichkeit schmerzhaft in allen Richtungen, aber frei
  • Schultern prothrahiert
  • Diaphragma in Inspiration beidseits
  • Sternocostale Gelenke 2–5 links deutlich schmerzpalpabel (Gegenseite o.B.), Beweglichkeit o.B.
  • Clavicula links translatorisch fest
  • Fossa supraclavicularis major (FSM) links deutlich schmerzpalpabel, Gegenseite o.B.
  • Faszialer Armzug links stockt im Pektoralbereich

Viszeral:

  • Dünndarmptose
  • Appendektomienarbe mit verklebtem Zäkum, Colon ascendens, rechtem Ovar

Kranial:

  • CRI in Frequenz und Amplitude reduziert
  • Hohe durale Spannung im Schädel, Sakrum frei

Therapieansatz

Eine Nervenwurzelkompression wurde negativ getestet. Die Befunde deuteten auf eine Nervengleitlagerstörung im Bereich des Plexus brachialis (Thora- cic-Outlet-Syndrom mit traumatischer Ursache) hin. Große fasziale Spannungen im Bereich des linken ventrokranialen Thorax waren imponierend.

1. Behandlung:

Kontrollbefund: CRI. Normalisation der 1. und 2. Rippe, sowie der BWS-Dysfunktionen. Dreidimensi- onale Mobilisation der Clavicula links, Befreiung der FSM links, Fasziale Mobilisation des linken oberen Thoraxbereichs (Höhe: Rippe 1–5), Normalisation des Diaphragmas, Zirkulatorische Behand- lung des Dünndarms.

Ergebnis:

Die ausstrahlenden Schmerzen in den Arm waren verschwunden, die Schmer- zen bei Kopf-Hals-Bewegungen unverändert, das Bewegungsgefühl freier und CRI normalisiert.

2. Behandlung nach 2 Wochen:

Die Schmerzen in der linken Halsseite hatten abgenommen. Befunde: Clavicula links noch fester als rechts, hohe faszi- ale Spannung im linken oberen Thorax, sternocostale Gelenke 2–5 links stark schmerzpalpabel. Kontrollbefund: Faszialer Armzug. Behandlung: Mobilisation der Clavicula (auch faszial), Mobilisation des Sternums und der sternocostalen Gelenke 2–5 links, Mobilisation der Hals- und Thoraxfaszien ventral und dorsal, Befrei- ung der FSM links.

Ergebnis:

Faszialer Armzug normalisiert. Keine Veränderung der Schmerzen bei Kopf- Hals-Bewegungen. Status 3 Wochen nach 2. Behandlung: Nur noch Restsymptoma- tik: Linke Halsseite schmerzte bei starker RE-Seitneigung des Kopfes. Patientin wurde bis zur Beschwerdefrei- heit noch zweimal behandelt.

Diskussion. Die Symptomatik war durch einen Gurt ausgelöst worden. Auch wenn durch ihn scheinbar keine Verletzungen hervorgerufen werden, ist die Kompression des Thorax beachtlich und führt mindestens zu faszialen Bewegungsstörungen im Thorax, die, sind sie manifest, Ausgangspunkt für Pathologien zum Beispiel im Schulterbereich sein können oder, wie hier, als Nervenwurzelkompression fehlgedeutet werden können.

Fazit. Eine Bewegungsstörung des Thorax fällt nicht auf, wenn diese „nur“ die Faszien betrifft: Die Atmung erscheint nicht eingeschränkt, die Gelenke des Thorax können frei in ihrer Bewegung sein, und dennoch kann eine Atempalpation oder ein faszialer Test der Gelenke und Knochen des Thorax Dysfunktionen von großer pathologischer Bedeutung ans Tageslicht bringen.

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